Die philosophische Frage nach den Tieren beschäftigt mich seit geraumer Zeit und aus vielen unterschiedlichen Gründen. Einerseits sind Tiere ständig um uns herum, ob wir sie bemerken oder nicht, sodass ein Philosophieren hier sehr „anschaulich“ zu sein verspricht. Tierbeobachtungen sind dann plötzlich nicht nur naturkundlich interessant, sondern auch philosophisch; man schaut nun im einen wie im anderen genauer hin: ein naturkundlich geschultes Auge bekommt Tiere differenzierter in den Blick, während die Philosophie auch auf den Betrachter ein Auge wirft und so die Wahrnehmungen der vielfältigen Tierwelt reflektierter und bewusster macht.
Die Philosophie bereichert aber nicht nur die eigene Lebenswelt, sie stellt auch triftige Fragen: gerade die nach den Tieren scheint mir besonders wichtig zu sein. Wenn Kant die vier großen Fragen der Philosophie als „1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen? 4. Was ist der Mensch?“ formulierte, mit dem Zusatz, dass die ersten drei Fragen in der letzten enthalten seien, die größte Frage also lautet: „Was ist der Mensch?“ – dann will ich sie hier provokant ersetzen durch die Frage: „Was sind Tiere?“. Aber der Reihe nach.
Wenn wir über Tiere sprechen, dann stellt sich für die Philosophie sogleich die Frage „von wo aus“ wir das tun. Es gibt natürlich verschiedene Zugänge, Blickwinkel, von denen aus man sich Tieren nähern kann.
Die Biologie scheint am Besten über Tiere Bescheid zu wissen, sie hat aber auch einen spezifischen Zugang: mit wissenschaftlicher Distanz geht es für gewöhnlich weniger darum, was für einen Bezug die Forscherin zu den einzelnen Tieren aufbaut, sondern mehr um deren „typisches“ Verhalten, das Rückschlüsse auf die Art zulässt. Unter dem Mikroskop sind Tiere Vorkommnisse, die verzeichnet und studiert werden müssen, um die mitunter chaotischen Naturgesetze verstehen zu lernen. Finden wir mit diesem Zugang die Wirklichkeit, und also die Antwort auf meine Frage? Ist nicht genau das wirklich und wahr, was sich objektiv untersuchen, „verifizieren“ lässt? Das nicht der zufälligen Meinung verschiedener Individuen ausgesetzt ist, sondern eindeutig messbar?
Bejahen wir dies, müssen wir unsere Wahrnehmungen als „bloß subjektiv“ einordnen, als Nebenprodukt der eigentlich wirklichen Naturgesetze. Wenn ich freudig erstaune, weil ich die erste Mönchsgrasmücke nach dem Winter in voller Kraft singen höre, ist dieses Erlebnis in Wirklichkeit eine Illusion die durch eigentlich wirkliche physikochemische Prozesse ausgelöst wird. Wirklich? Aber wer entscheidet darüber, was wirklich ist?
Letztlich bin doch auch ich es, der sich die „objektive Natur“ zu vermessen anschickt. Was also wenn die ganze Idee einer objektiv vorhandenen Natur ein Konstrukt von mir ist? Wenn die „Naturgesetze“ Gesetze meines Denkens sind, und also weniger da draußen, als vielmehr in mir liegen – dann liegen sie sicher nicht in meinem „objektiven“ Gehirn, das ja das Produkt dieser Idee wäre! Wo liegen sie dann?
Ein ziemlich altmodisches, verstaubtes Wort bietet sich da an: Geist. Also unser herumgeisterndes Denken hat eine bestimmte Gesetzmäßigkeit, die bestimmt, wie wir die Welt wahrnehmen können. Gut, dann wäre meine Freude über die Mönchsgrasmücke doch primär wirklich und nicht bloßes Resultat unsichtbarer Prozesse, aber was hat das nun mit den Tieren zu tun?
Wählen wir den Zugang von unserem Denken, dann sehen wir in den Tieren, genauso wie in einer Geröllhalde, unser anderes: das, was wir nicht sind. Diese Fremdheit lässt sich nun unmöglich überwinden: auch wenn ein winselnder Hund mein Mitleid erregt, tut er das nur deswegen, weil ich mich in ihm erkenne, seine Ähnlichkeit zu mir mir einen Spiegel vorhält. Meine Denkstrukturen sind ja in allem aktiv, insofern bin ich auch gewissermaßen in allen Wahrnehmungen selbst anwesend. Die ganze Welt ist so ein Spiegel meiner selbst! Nur wie sieht das mit anderen Menschen aus? Die haben ja dieselben Denkstrukturen, also ist bis auf uns, die wir uns verstehen und miteinander sprechen, die ganze Natur der Spiegel der menschlichen Vernunft. Nur: woher weiß ich, dass nicht auch die anderen Menschen ein Spiegel sind, nämlich allein meiner Vernunft? Wie kann ich wissen, dass nicht alles ein Traum ist, wo doch alles in meinem Denken ist? Tja, wissen kann man das nicht.
Aber es ist schon ein ziemlich fader Gedanke! Wir scheinen uns in der Mehrheit der Fälle doch tatsächlich ganz gut mit anderen zu verstehen, und verlassen uns ja auch ständig darauf – haben das sogar schon getan bevor wir uns mit solchen verrückten Fragen beschäftigt haben. Unser Leben ist also schneller als unser Denken, und vielleicht würde es Sinn machen als ein erstes das Leben anzuerkennen? Zu sagen also, dass die Wirklichkeit nicht nur in unseren Denkstrukturen liegt, sondern auch irgendwo da draußen, wo wir die ganze Zeit mit irgendwas und irgendwem zu tun haben. Nehmen wir also an, dass wir unsere Mitmenschen also doch wirklich verstehen (meistens wenigstens) und uns das nicht nur einbilden. Nur wenn sie nicht mehr bloß Spiegel unserer Vernunft sind, dann kann auch die Natur nicht mehr nur eine völlig fremde Kontrastfolie sein! Ein solcher Zugang, der bei den alltäglichen Beobachtungen anfängt – von denen wir anfangs noch dachten, sie seien „bloß subjektiv“ – begegnet nun Tieren gewissermaßen auf Augenhöhe.
Während also aus wissenschaftlicher Distanz allerhand Ergebnisse möglich werden, sind diese nicht letztlich „die Wirklichkeit“, sondern stark von unserem „Geist“ geprägt, also nicht Tatsachen, sondern (teils sehr interessante und hilfreiche) Konstrukte. Dieser zuerst vorgestellte Zugang, der die Objektivität der Physik und Chemie als Vorrang gegenüber unseren Wahrnehmungen bewertet, wäre wohl vereinfachend als „Materialismus“ oder „Naturalismus“ zu bezeichnen. Genauso vereinfachend könnte man die Erklärung der Welt rein aus unseren Denkstrukturen, unserer Vernunft, also den zweiten Zugang, „Idealismus“ nennen. Der dritte Zugang hingegen, der direkt bei unseren Erfahrungen ansetzt und die horizontale Dimension der Lebenswelt verfolgt, ist der Ansatz der Phänomenologie. Wie unschwer zu erkennen ist, favorisiere ich letzteren Ansatz! Was aber sind nun die Tiere aus der Blickrichtung unserer Erfahrung?
In unserem alltäglichen Denken und ziemlich der ganzen philosophischen Tradition sind Tiere grundsätzlich von uns unterschieden. Diese Unterscheidung ist nicht nur für das Wesen der Tiere entscheidend, sondern betrifft auch die Menschen! Nicht umsonst wurde der Mensch als „vernünftiges Lebewesen/Tier“(Aristoteles, Thomas v.A.) oder „noch nicht festgestelltes Tier“(Nietzsche) bestimmt. Wenn gerade die Abgrenzung es erst ermöglicht, das Eigene des Menschen hervorzuheben, dann bleibt dieses unweigerlich an seinen Widerpart gekoppelt. Die Frage, ob Tiere sprechen, ist also auch eine Frage nach dem Wesen des Menschen, des sprechenden/denkenden Tieres. Inwiefern ist es sinnvoll, Identität unter Menschen zu stiften durch Abgrenzung zu den Tieren? Was wäre daran problematisch? z.B. dass es ein Moment von Gewalt, von Herrschaft darstellt, just hier eine Grenze zu ziehen, wo das „Wir“ beginnt? Oder lässt sich diese Grenzziehung auch mit reichhaltiger und selbstkritischer Erfahrung aufrecht erhalten?
„Spricht“ nun der Hund, wenn er winselt? Sicher, er benutzt keine menschlichen Worte. Aber in einem weiteren Sinn würde die Frage, ob Tiere sprechen eher meinen ob sie denken, ob wir uns verstehen können, oder ob sie eben nicht sprechen, blind gebunden sind an Reiz-Reaktionsschemata. Sprechen Tiere also insofern sie denken und wir uns ein Stückweit verstehen können, und sprechen sie nicht, insofern sie keine Sprache kennen? Wir verstehen den Hund auch ohne formulierte Worte, aber nur basal – können mit ihm keine komplizierten Gespräche führen, Geschichten erzählen. Keine Verträge schließen. Genügt dieses Schweigen nun um festzustellen, dass es sich hier „bloß um Tiere“ handelt?
Selbstverständlichkeiten als Denk- und Wahrnehmungsgewohnheiten bestimmen ganz konkret darüber, was wir alltäglich zu Gesicht bekommen, auf was wir hören und auf was nicht. Sprechen wirklich alle Menschen? Was ist mit denen, die z.B. illegalisiert sind und die keine Öffentlichkeit hört? Vielleicht kommt es beim Sprechen weniger auf den Gebrauch der Sprache an, als vielmehr auf ein Gehört-Werden? Der Mann im Mond mag in allen Sprachen fließend sein – von welcher Relevanz ist dies, wenn seine Worte ungehört verhallen, wenn niemand sagen kann: „er hat gesprochen“. Die Frage „Können Tiere sprechen?“ problematisiert also nicht nur die Berechtigung und den Sinn der Mensch-Tier-Grenze, sondern impliziert umgekehrt auch eine Kritik unserer Selbstverständlichkeiten. Wir müssen uns immer wieder gegen unsere Gewohnheit sträuben und umgekehrt uns selbst fragen: „Können wir Tiere sprechen hören?“ Die aufmerksame Beobachtung, liebevolle Hinwendung und das Leben an der Seite der vielen Tiere scheinen mir hierfür sehr geeignet zu sein.
Schließlich bleibt mir die Ungewissheit, ob wir nicht uns erst dann wahrlich um eine Sprache der Tiere bemühen dürfen, wenn die mögliche Antwort keinen so unendlichen Unterschied mehr macht.
Was denkst Du?
Wunderschön dargestellt und auf die Spitze getrieben. In diesen Kontext gestellt erhellt sich der sonst eher esoterisch klingende Satz ”Können wir Tiere sprechen hören?”. Den Blog lese ich immer wieder gerne, Franz!
Vielen Dank, lieber Tim! Es freut mich sehr, dass Dir der Artikel und mein Blog überhaupt gefällt!
Hallo Franz,
Ich hab dich gehört aber hab ich dich auch verstanden?!
Vielleicht wenn ich den Gedanken hatte, dass dir dieses Buch gefallen könnte:
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/lesezeit/171756/index.html
beste Grüße aus Kassel
Richard
Hallo Richard,
vielen Dank für deinen Kommentar und den Buchtipp!! (ich antworte so spät, weil ich in der Zwischenzeit verreist war)
Das klingt in der Tat ziemlich interessant, auch wenn ich gerade skeptisch bin bei Tieren (und bei Insekten bietet sich das vielleicht besonders an) eine absolute Fremdheit zu behaupten, eine reine Projektionsfläche. Dass Insekten „außerhalb des Rechts stehen“, wie Canetti zitiert wird, ist in meinen Augen nur faktisch der Fall aber nicht notwendig. Gerade das Beispiel, dass es völlig schuldlos sei eine Fliege tot zu klatschen finde ich ziemlich problematisch! Wenn man anerkennt dass alles Leben Streben ist (was ich sehr evident finde), dann ist ein Töten immer ein abschneiden dieses Dranges, auch schon bei Pflanzen. Bei Tieren würde ich nun behaupten, dass dieses Streben individualisierter ist, sodass das Töten nochmal schwerwiegender wird. Die Ansicht, dass Insekten absolut fremd und „rechtlos“ sind, finde ich also bedenklich, sie verschließt sich der freilich sehr begrenzten Möglichkeit uns auch in Insekten einzufühlen. Das Buch will aber ja eine „Ambivalenz“ untersuchen, insofern besorge ich es mir vielleicht einfach einmal )
Herzliche Grüße aus Innsbruck,
Franz