Spuren im Schnee

Tierspuren im Schnee kann man einfach lesen lernen!

Spurenlesen ist eine Kunst, aber keine Hexerei!
In diesem Post will ich eine Einführung in die Grundprinzipien des Spurenlesens geben, das für mich wohl der schönste Teil des Winters ist. Im Schnee kann man Tierspuren deutlich besser verfolgen als im hohen Gras: während man als Anfänger im Sommer auf Pfützen, Erde, Sand o.ä. angewiesen ist, kann man im Winter bei günstigen Verhältnissen nahezu überall Spuren finden!

Im naturnahen Garten sind es meist kleinere Tiere, deren Spuren wir entdecken können. Aber auch größere Säugetiere kommen hier durch und hinterlassen über ihre Spuren einen Abdruck ihres – für uns meist unsichtbaren – Tagesablaufs. Von seinem Bau in einem überwachsenen Grundstück aus geht der Fuchs zum Beispiel zunächst zur Metzgerei auf der Suche nach Schlachtabfällen, dann über die Wiese zu den Heuschobern, wo die Mäuse überwintern, in die Gärten, zwischen die Hecken und entlang des Baches die Reviergrenze zum Wald hin markieren. So können wir erfahren, wie wir mit unseren Gärten über die Tiere vernetzt sind mit der gesamten umgebenden Landschaft. Tierspuren lesen heißt auch Landschaften lesen – aber der Reihe nach!

Scheu und im Winterfell perfekt getarnt – doch können wir die Anwesenheit dieses Rehs auch einfach an seinen Spuren ablesen!

Es scheint mir sinnvoll, erst beim einzelnen Fußabdruck anzufangen, um dann zunehmend die Komplexität zu steigern – über die Fährte bis hin zur ganzen umgebenden Landschaft.

  • Das Trittsiegel: Wer war hier, und wann?

Weil „Spuren“ streng terminologisch alle Anwesenheitszeichen bedeuten und folglich auch Fraß-, Kot- und z.B. Markierungsspuren einschließen, spreche ich beim Fußabdruck vom „Trittsiegel“. Hier lässt sich oft schon ein Eindruck gewinnen, ob ihr Urheber Pfoten, Hufe oder Turnschuhe hatte.

Huf oder Pfote?
Huf oder Pfote?
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Huf oder Pfote?

Die meisten Trittsiegel kann man in Hufe oder Pfoten unterteilen:
Hufe haben die Paarhufer Reh, Hirsch, Gams, Steinbock – Schaf, Ziege, Kuh, und die Unpaarhufer Pferd und Esel.
Pfoten haben dagegen Fuchs, Dachs, Hase, Marder, Hermelin, Wolf, Bär, Luchs – Hund und Katze, und auch der barfüßige Mensch.
Fehlt noch eine große Gruppe, nämlich die Abdrücke von Vogelfüßen. Nicht nur an der Fütterung kann man oft Vogelspuren beobachten, und es lohnt sich, ein Auge darauf zu werfen, ob nun der Vogel hüpft (kleine Vögel wie Finken und Meisen, aber auch oft Eichelhäher und Spechte) oder schreitet (größere Vögel wie Drosseln, Krähen, Raben, Hühnervögel…).
Auch Insekten, Schlangen und Eidechsen sowie Amphibien hinterlassen natürlich Spuren, diese sind aber alle im Winter kaum anzutreffen, weshalb wir sie hier einmal ausklammern.

Wer es genauer nimmt unterscheidet zwischen Zehenspitzengängern (also denen, die auf ihren Zehennägeln gehen: Reh, Hirsch & co), Zehengängern (diejenigen, bei denen sich die Pfoten/Ballen mit abdrücken: Fuchs, Katze… und die Ballerina) und Sohlengängern (hier tritt der ganze Fuß auf: Bär, Dachs, Mensch).
Wenn man nun erkennen kann, ob es sich um einen Huf, Pfoten oder einen Vogelfuß handelt, ist schon einiges gewonnen. Hier hilft es weiter, sich den konkreten Nutzen der Füße, der sich indirekt mit abdrückt, vor Augen zu halten: Einigen wir uns darauf, dass Bild 1 zwei Hufe zeigt? Dann sehen wir, dass die „Schalen“, wie die einzelnen Hufe in der Jägersprache heißen, recht flach und gleichmäßig geformt sind, sodass ein sehr kleiner, aber flächiger Abdruck entsteht. Kann dieser Kollege nun entsprechendes „Schuhwerk“ gebrauchen?

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Im Gebirge zählt vor allem der Grip!

Wenn wir uns einen Bergschuh besorgen, wird uns eine gute Verkäufer:in auch nach dem Anwendungsprofil fragen: für gemütliche Wanderungen in Wald und Wiesen bekommen wir eine weiche Sohle, auf der wir die ganze Fläche unserer Füße gut abrollen können. Für Fels und Eis aber ist äußerste Kantenkontrolle vonnöten, weshalb die Sohle möglichst steif sein soll. Aus dem kleinen, aber flächigen Abdruck Nr. 1 können wir also schon einmal herauslesen, dass es sich hier wohl eher weniger um eine Bergsteigerin handelt. Die geringe Größe lässt zudem Rückschlüsse auf die Gesamtgröße des Urhebers zu, sodass als kleiner Waldbewohner eigentlich nur das Reh in Frage kommt (das Reh ist übrigens nicht ein weiblicher Hirsch, sondern eine andere Tierart!).

Nr. 2 sollte hingegen eine Pfote erkennen lassen. Wichtig ist hier, dass man neben den vier Zehen und dem Ballen auch noch vier Krallen erkennen kann – damit sind Katze, Wildkatze und Luchs schon ausgeschlossen, weil die ihre Krallen beim Gehen ja einziehen. Die Größe grenzt zudem die Möglichkeiten auf Fuchs und Hund ein. Wer es ganz genau nimmt, der misst die Abdrücke nach und kann so mit einem Buch auf Nummer Sicher gehen.

Nr. 3 schließlich ist wohl eindeutig eine Vogelspur, also weder Huf noch Pfote. Aber handelt es sich hier um eine Amsel? um einen Raben? einen Adler? Zunächst lässt die Größe Rückschlüsse auf etwas in Krähengröße. Auffallend aber ist hier die kurze hintere Kralle! Ein Greifvogel – der eben durch seinen Griff tötet – kann diese Spur also kaum hinterlassen haben: so kann man nicht sehr gut zupacken. Umso besser aber eignen sich solche Füße zum Gehen, der entsprechende Vogel wird also die meiste Zeit am Boden verbringen. Tatsächlich handelt es sich hier um ein Rauhfußhuhn! Ich vermute ein Birkhuhn, aber erst mit einem Maßstab lässt es sich völlig sicher sagen.

Zu guter Letzt ist noch zu bedenken, dass Schnee zwischen Oktober und Mai, zwischen -25°C und +15°C sehr unterschiedliche Formen annimmt. Während kristalliner Pulverschnee Spuren eher kleiner und undeutlich aussehen lässt, kommen sie im nassen Firn sehr deutlich und groß raus. Bei Tauwetter werden zudem die einzelnen Trittsiegel mit der Zeit immer größer und undeutlicher, sodass Verwechslungen naheliegen.

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Hasenspur im Pulverschnee
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Hasenspur im Firn

Die Spuren unterliegen aber immer zeitlicher Veränderung, und man kann am einfachsten am Vergleich eigener Spuren abschätzen, wann ihr Urheber vorbeigekommen sein muss. Einfach den Schnee neben der Spur andrücken und das Ergebnis vergeichen!

  • Die ganze Spur: Gangarten und ihre Gründe

Wie die beiden letzten Bilder schon zeigen, sind die einzelnen Trittsiegel natürlich auch immer in einer bestimmten Art und Weise angeordnet. Diese gibt noch mehr Hinweise als der Abdruck selbst! Zum einen hat jedes Tier eine von vier typischen Gangarten, zum anderen kann natürlich diese Gangart je nach Bedarf verändert werden. Weil es gerade für Wildtiere lebensnotwendig ist, mit ihrer Energie sorgsam zu haushalten, bewegen sie sich wann immer möglich in ihrem optimalen Rhythmus. Die klassischen vier Gangarten sind in der Reihenfolge ansteigender Geschwindigkeit 1. der Gang, 2. der Trab, 3. der Zweisprung, und 4. der Galopp.

Im gemächlichen Gang bewegen auch wir Menschen uns gewöhnlich fort, Vierbeiner setzen dabei die Hinterfüße ca. in die Abdrücke der Vorderfüße um Kraft zu sparen. Das lässt sich gut bei Katzen beobachten! So entsteht eine versetzte Zick-Zack-Spur, die u.a. typisch ist für alle Paarhufer (Rehe, Hirsche, etc.).

Beschleunigen wir den Gang, wird die Zick-Zack-Spur enger, sodass die Abdrücke fast auf einer Linie zu liegen kommen. Den charakteristischen Trab des Fuchses nennt man deshalb „Schnüren“. Die ausdauernden Hundeartigen (Fuchs, Hund, Wolf) folgen meist einer Geruchsfährte und bewegen sich gewissermaßen „joggend“ durch ihr Revier. Sie nutzen so ihre Energie optimal. Beim Haushund sieht man dies jedoch nur äußerst selten, weil die meisten Hunde beim Gassi gehen eher ihren Energieüberschuss ausleben, als auf Sparflamme im Marathon-Modus zu laufen.
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Wenn der Trab das „Joggen“ bezeichnet, ist der Galopp der Sprint. Aber es gibt tatsächlich einige Tiere, die in dieser Gangart standardmäßig unterwegs sind, auch wenn sie dies in Form eines energiesparenden Hoppelns betreiben:
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Während wir links die charakteristische Hasenspur sehen, ist rechts ein Eichhörnchen gehüpft. Im Galopp streckt sich die Läuferin mit den Vorderfüßen nach vorne und schlägt die Hinterfüße darüber hinaus. Das kann man am Besten in einem Video nachvollziehen, z.B. hier.  Aber gerade beim vertrauten Anblick von Eichhörnchen wird der Galopp auch nachvollziehbar. Sprintet ein Eichhörnchen davon, ändert es nicht seine Gangart!
Wichtig ist hier fürs Spurenlesen, dass viele Tiere diese drei Gangarten beherrschen! Wenn nun aber ein Reh in den Galopp wechselt, dann ist es in panischer Flucht. Umgekehrt, wenn der Fuchs geht, dann muss es einen Grund für seine Verlangsamung geben: hat er markiert, ist er beim Bau, etc.?

Ein ungewöhnlicher Schritt ist der Zweisprung, der an Geschwindigkeit zwischen Trab und Galopp liegt. Er wird von einer ganz bestimmten Tierfamilie, nämlich den kleineren Mardern (also ohne Dachs und Vielfraß) bevorzugt:

P1060650Hier springt das Tier wie eine Ziehharmonika: mit den Vorderfüßen kommt es auf, mit den Hinterfüßen landet es im selben Abdruck. Die Spur ist daher immer die gleiche, aber die Größe unterscheidet sich sowohl in puncto Trittsiegel als auch im Abstand der einzelnen Abdrücke. Im Bild ist die Spur des Mauswiesels, also des kleinsten Marderartigen zu sehen. Hermelin, Iltis, Stein- und Baummarder hinterlassen entsprechend größere Abdrücke.

  • Der Blick fürs Ganze: Umgebung und Landschaft

Wenn man am einzelnen Trittsiegel schon einiges über dessen Urheber sagen kann, sowie darüber, wann er oder sie hier vorbeigekommen ist; wenn die Spur in ihrer Gesamtheit dann Auskunft darüber gibt, ob das Tier im entspannten Optimum war, oder ob es eher eilig davonlief oder gar in stürmischer Jagd durch den Schnee raste – so gibt uns die Spur im Kontext mit der Landschaft einen Eindruck vom Lebensraum und lässt fragen, woher und wohin das Tier unterwegs war, und warum.

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Eine im Schnee ausgetaute Fuchsspur

Wie im Bild oben zu sehen ist, folgt der Fuchs hier den Bergahornen – markiert er dort sein Revier? Sucht er dort nach Hasen, die wiederum am offenliegenden Stamm nach frischen Trieben suchen? Der Lebensraum hilft insofern, eine Spur zu bestimmen, als er natürlich die Kandidaten einschränkt – am Großen Ahornboden im Karwendel wird z.B. wohl kaum eine Katze sich hinverirrt haben. Umgekehrt sind Pfotenabdrücke an beliebten Spazierwegen, gerade wenn sie neben Fußabdrücken von Menschen laufen, selbstverständlich oft Hundeabdrücke und nicht die von Füchsen.
Gleichzeitig aber kann man auch die Bedeutung von bestimmten Landschaftselementen für einzelne Tierarten erkennen und z.B. schneefreie Südhänge als Futterplatz für Gämsen und Rehe, kleine Hügel als Aussichtspunkte für den Fuchs, Mulden im Gebüsch als Schlafplätze für Hasen identifizieren.

Wenn man diese Elemente alle zusammennimmt, kann man aus einer einzelnen Spur erstaunlich viel herauslesen! Und selbstverständlich gilt das nicht nur für Tierspuren, auch Fußabdrücke von Menschen kann man viel genauer in den Blick nehmen, als man es gewöhnlich tut. Also: wenn Du Abdrücke irgendwo siehst, dann versuche dich einfach soviel wie möglich darüber zu fragen, zu staunen, schau auf das Detail wie auf den Zusammenhang, vergleiche und mache Dir ein Bild – denn nur durch die praktische Übung kann man diese spannende Kunst lernen!

  • Literatur

Natürlich gibts auch hier was zu lesen! Bestimmungsliteratur hilft und regt an, genauer hinzuschauen. Auch macht es auch so oft einfach Spaß darin zu lesen.

DAS Standardwerk für Tierspuren Europas ist das gleichnamige Buch von Joscha Grolms. Nicht billig, aber ein Schnäppchen angesichts des darin versammelten Wissens.

Empfehlenswert ist auch das Buch von Bang/Dahlström, oder das modernere von Olsen mit schönen Fotos. Günstiger und auch gut ist Ohnesorge/Scheiba.

Wen die philosophischen Implikationen von Tierspuren interessieren, sei auf meine kleine Publikation zum Thema verwiesen.

Sehr empfehlen kann ich persönlich außerdem den Spurenlesen-Kurs der Wildnisschule „Wildniscamps“ in Oberösterreich, sowie den Spurenlesen-Kurs der „Natur- und Wildnisschule der Alpen“ in Tirol!

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